Substanz


In Hartmanns Substanzkonzeption lassen sich zwei Hauptfragen unterscheiden. Die erste Frage zielt auf die adäquate Fassung des Begriffs der Substanz, die zweite auf die (an den Wissenschaften orientierte) Feststellung, was in der Realität einen solchen Substanzcharakter hat. Hartmanns Position zum Substanzbegriff ist dadurch charakterisiert, dass er einerseits an dem traditionellen Begriff der Substanz als beharrlichem Substrat festhält und andererseits den Begriff des subsistierenden Beharrlichen von dem Begriff der bloßen Konsistenz abgrenzt. Die zeitgenössischen philosophischen Kontroversen konzentrierten sich vor allem auf den Begriff der Substanz als Substrat. Der Positivismus verwarf den Substratbegriff als Fiktion, und der Neukantianismus stellte gewöhnlich die logisch-idealistische Funktion dieses Begriffs heraus. Hartmanns Auffassung soll im Folgenden mit den Positivisten Mach und Schlick und den Neukantianern Cohen, Natorp und Cassirer verglichen werden.

5.1. Positivismus

5.1.1. Ernst Mach

Ernst Mach war mit seinen Werken Analyse der Empfindungen (1886) und Erkenntnis und Irrtum (1905) der einflussreichste positivistische Denker im deutschsprachigen Raum um die Jahrhundertwende. Machs positivistisches Programm besteht darin, metaphysische Begriffe und Theorien als überflüssig nachzuweisen und zu eliminieren. Die Aufgabe der Wissenschaft sieht er darin, eine übersichtliche, ökonomische Darstellung des Tatsächlichen in seiner gegenseitigen Abhängigkeit zu liefern und auf Erklärungen des Gegebenen durch nicht-empirische oder metaphysische Gründe ganz zu verzichten. (vgl. Mach 1886, S.VIff; Mach 1905, S.135) Im Anschluss an Berkeley und Hume hat Mach auch eine positivistische Kritik des Substanzbegriffs geliefert.

Die Überflüssigkeit des Substanzbegriffs versucht Mach durch eine Rekonstruktion seiner Entstehung und Funktion in der Erkenntnis zu zeigen. Zur Bildung der Begriffe von Materie und Ich (Geist) als Substanzen gelangt man nach Mach dadurch, dass man einerseits aus einem Komplex physikalischer Eigenschaften wie Farben, Tönen, Drücke usw. das relativ Feste und Beständige hervorhebt und als Körper bezeichnet und andererseits aus einem Komplex seelischer Eigenschaften wie Erinnerungen, Stimmungen usw. das relativ Beständige heraushebt und als Ich bezeichnet. Das relativ Beständige an einem gegebenen Komplex von Elementen (und Empfindungen) wird damit als Substanz herausgehoben und die veränderlichen Bestandteile an demselben werden als Eigenschaften gedeutet. (vgl. Mach 1886, S.2, 4) Wirklich ist nach Mach aber nur der Zusammenhang der Elemente (bzw. Empfindungen) selber, die vermeintlichen Einheiten Körper (Materie, Atom, Molekül) und Ich sind dagegen nur nützliche Fiktionen zur praktischen Orientierung. (vgl. Mach 1886, S.10f; Mach 1905, S.15) Ein Scheinproblem entsteht nach Mach dagegen, wenn man danach fragt, was denn übrig bleibt, wenn man von einem Ding (oder einem Ich) alle Eigenschaften wegnimmt. Der Gedanke einer von allen Eigenschaften verschiedenen Substanz ist daher für ihn nur eine Fiktion und die Probleme der unergründlichen Dinge und des unerforschlichen Ich sind bloße Scheinprobleme. An die Stelle des traditionellen Substanzbegriffs setzt Mach damit den kritisch geläuterten Begriff der Substanz als Bündel von gesetzmäßig zusammenhängenden Reaktionen. Da Materie und Ich keine Substanzen, sondern nur gesetzmäßige Zusammenhänge von Elementen sind, bedeutet dies nach Mach die Ersetzung des Materiebegriffs durch den Gesetzesbegriff. (vgl. Mach 1886, S.268ff; Mach 1905, S.12ff, 148)

Eine ausdrückliche Auseinandersetzung mit der positivistischen Kritik des Substanzbegriffs hat Hartmann nicht unternommen, obwohl er sich von positivistischen Formen des Idealismus klar distanziert. Wie er die positivistische Beschränkung auf das Gegebene als eine Verkennung des Realitätsanspruchs der Erkenntnis kritisiert, so lehnt er auch die positivistische Deutung ontologischer und wissenschaftlicher Begriffe als bloßer Instrumente des Berechnens und Beschreibens der Phänomene ab. Machs Ersetzung des Substanzbegriffs durch den Gesetzesbegriff ist für Hartmann ein Beispiel eines leeren Relationalismus, gegen den er die ontologische Bedeutung der Substanz als Substrat betont. Wenngleich er in seiner Schichtenlehre die Geltung dieses Substanzbegriffs auf die Schicht der anorganischen Materie beschränkt und die beharrlichen Eigenschaften der höheren Schichten als bloße Konsistenzen fasst, bleibt für ihn Substanz doch eine Realkategorie, die von bloßer Gesetzmäßigkeit oder Konsistenz verschieden ist.

5.1.2. Moritz Schlick

In seiner Schrift Allgemeine Erkenntnislehre (1918) hat Moritz Schlick sich auch mit dem Substanzproblem auseinandergesetzt und dabei eine Position vertreten, die einerseits mit der positivistisch-empiristischen Tradition den metaphysischen Substanzbegriff verwirft, andererseits aber gegen diese Tradition einen erkenntnistheoretischen Realismus verteidigt.

Schlick sieht durchaus die zentrale Rolle, die die Idee eines Konstanten im Wechsel im alltäglichen, wissenschaftlichen und metaphysischen Denken spielt. Akzeptabel ist für ihn jedoch nur der alltägliche und wissenschaftliche Substanzbegriff. Die alltägliche Rolle des Substanzbegriffs basiert nach Schlick auf der Assoziation von Eigenschaften: Treten bestimmte Qualitäten in der Wahrnehmung stets zusammen auf, so werden sie im Bewusstsein miteinander assoziiert, und es entsteht die Erwartung, dass sie auch fortan stets zusammen auftreten werden. Ein solcher beständiger Zusammenhang von Qualitäten bezeichnet man im Alltag als Ding oder Substanz. (vgl. Schlick 1918, S.418f) Diese alltägliche Substanzvorstellung wird nach Schlick zum wissenschaftlichen Substanzbegriff, indem an die Stelle der assoziativen Verknüpfung von Qualitäten der gesetzmäßige Zusammenhang von Qualitäten gesetzt wird. Nach Schlick steht aber keineswegs a priori fest, ob es überhaupt solche absolut beständigen Komplexe gibt. Die Konstanz der Masse sei bereits aufgegeben worden, und ob die Energie tatsächlich etwas absolut Beständiges sei, sei noch keineswegs ausgemacht. Dennoch bleibe das Ziel der Wissenschaften die Suche nach dem Beständigen, weil zumindest die Naturgesetze selbst beständig seien. Wie schon für Mach löst sich damit für Schlick der wissenschaftliche Substanzbegriff in den Gesetzesbegriff auf. (vgl. Schlick 1918, S.419f) Der metaphysische Substanzbegriff ist nun nach Schlick dadurch charakterisiert, dass er einen von allen Eigenschaften verschiedenen, aber ihnen zugrunde liegenden Träger postuliert. Ein solcher eigenschaftsloser Träger von Eigenschaften ist nach Schlick jedoch unhaltbar, und der metaphysische Substanzbegriff muss daher aus den Wissenschaften verschwinden. Wissenschaftliche Erkenntnis habe es eben letztlich mit Relationen und Abhängigkeiten und nicht mit Dingen und Substanzen zu tun. In der Psychologie werde daher die Seele als Träger der Bewusstseinsdaten durch den gesetzmäßigen Zusammenhang der Qualitäten (des Bewusstseins) ersetzt, und in den Naturwissenschaften sei die Materie nur noch der Zusammenhang gesetzmäßig verknüpfter Qualitäten. (vgl. Schlick 1918, S.319, 419f)

Hartmanns Differenzierung zwischen der Bewusstseins- und Realkategorie der Substanz hat wenig mit Schlicks Unterscheidung zwischen alltäglichem, wissenschaftlichem und metaphysischem Substanzbegriff zu tun. Zwar entspricht dem alltäglichen Substanzbegriff Schlicks in gewisser Weise die Bewusstseinskategorie der Substanz bei Hartmann, doch besteht dabei der charakteristische Unterschied, dass Hartmann den alltäglichen Gebrauch des Substanzbegriffs durch metaphysisch-theologische Ideen und Bedürfnisse fehlgeleitet sieht, während Schlick im Alltag eine vorwissenschaftliche, metaphysikfreie Verwendung auszumachen glaubt. Der entscheidende Unterschied besteht jedoch darin, dass Hartmann, im Gegensatz zu Schlick, den metaphysischen Begriff der Substanz als Substrat ontologisch sanktioniert. Hartmanns Kritik zielt eben darauf ab, den rechtmäßigen Gebrauch des Substanzbegriffs auf die unterste Schicht der Realität zu restringieren. Dass Hartmann und Schlick Materie und Energie gleichsam nur noch als relative Substanzen anerkennen, ändert nichts an ihrer verschiedenen Einstellung zum metaphysischen Substanzbegriff.

Trotz seiner Zurückweisung des metaphysischen Substanzbegriffs lehnt Schlick alle Versuche ab, aus dieser Kritik idealistisch Kapital zu schlagen. Der Realismus beinhaltet zwar die Anerkennung von Dingen an sich, doch bedeutet dies, wie er gegen Mach einwendet, keineswegs die Anerkennung des metaphysischen Substanzbegriffs. Denn dass etwas an sich existiert, heißt nach Schlick nur, dass es von uns nicht erlebt wird. Zugleich betont Schlick, dass die Anerkennung des Realismus keinerlei Aussagen enthält, ob die realen Dinge nun selber substantiell oder prozesshaft sind (vgl. Schlick 1918, S.224f, 238). - Während Schlick damit den Realismus vom metaphysischen Substanzbegriff trennt, verknüpft Hartmann gerade den Realismus in gewisser Weise mit dem Substanzbegriff, wenn er behauptet, dass die Realität ohne zugrunde liegende Substrate sich in nichts auflöse. Weil Hartmann Realist ist, glaubt er auf den metaphysischen Substanzbegriff nicht verzichten zu können. Bemerkenswert ist aber, dass die Verknüpfung des Realismus mit der Substratidee erst in Hartmanns Ontologie eine entscheidende Bedeutung erlangt.


5.2. Neukantianismus

5.2.1 Hermann Cohen und Paul Natorp

Gegenüber den ontologisch-realistischen Fassungen des Substanzbegriffs hat Cohen in seiner Logik der reinen Erkenntnis (1902) eine erkenntnistheoretische Fassung im Sinne des logischen Idealismus gesetzt. Die Substanz ist danach ein Erzeugnis des reinen Denkens, das die Veränderungen der Natur verständlich machen soll, insofern sie als das in allen Veränderungen Identisch-Bleibende und Zugrundeliegende gedacht wird. Die Substanzkategorie hat damit nach Cohen einen korrelativen Charakter: Wie jede Veränderung als Verwandlung einer zugrunde liegenden Substanz gedacht wird, so muss zu jeder Bewegung ein sich in der Bewegung erhaltendes Korrelat hinzugedacht werden. Die Substanzkategorie erweist sich damit nach Cohen als ein bloßes methodisches Mittel zur Deutung von Veränderung und Bewegung, wodurch die Idee einer absoluten Substanz sich als unhaltbares realistisches Vorurteil entpuppt. An die Stelle der ontologischen Idee der Substanz als Substrat („Hypokeimenon“) setzt Cohen die kritisch-idealistische Auffassung der Substanz als „Subjecto“ oder „Hypothesis“. (vgl. Cohen 1902, S.219ff, 230, 233ff, 251, 253ff) Diesen kritischen Substanzbegriff habe bereits Platon gekannt, wenn er die Idee als Grundlegung („Hypothesis“) begriffen und damit den methodischen Sinn des „Zugrundelegens“ erfasst habe. Bei Aristoteles sei dieser Sinn jedoch wieder verloren gegangen, wenn er die Substanz zum „Zugrundeliegenden“ („Hypokeimenon“) umgedeutet und damit ein methodisches Prinzip verdinglicht habe. (vgl. Cohen 1902, S.211f)

Natorp hat sich in seiner Schrift Die logischen Grundlagen der exakten Wissenschaften (1910) der Substanzkonzeption Cohens angeschlossen, ihr aber eine elegantere Form gegeben. Die Annahme einer unveränderlich sich erhaltenden Substanz (oder eines mit sich selbst identisch bleibenden Realen) ergibt sich für ihn schon aus der logischen Forderung der eindeutigen Bestimmbarkeit des Seins. Da als Grundlage jeder Veränderung ein „fundamentum relationes“ angenommen werden muss, ist die Idee der Substanz nach Natorp eine Leistung des reinen Denkens, deren Ausfüllung der Erfahrung überlassen bleibt. (vgl. Natorp 1910, S.349, 353f) Über Cohen geht Natorp dadurch hinaus, dass er die sich seinerzeit abzeichnenden revolutionären Veränderungen in der Physik reflektiert und den logischen Idealismus aus der engen Anbindung an die klassische Physik zu lösen beginnt. Im Anschluss an Planck vertritt er z.B. die Auffassung, dass nicht mehr die Masse, sondern die Energie das letzte Bewegliche ist. Zugleich betont Natorp, dass das, was in wissenschaftlichen Theorien als Letztes supponiert wird, stets nur die (instrumentalistische) Bedeutung eines Rechenfaktors hat. (vgl. Natopr 1910, S.71f, 35f)

Die Substanzkonzeption des logischen Idealismus war für Hartmann die maßgebende Position, von der er sich durch seine realistische Fassung des Substanzbegriffs abzugrenzen versuchte. Es war vor allem gegen Cohen und Natorp gemünzt, wenn Hartmann den leeren Relationalismus kritisierte. Mit seiner Lehre von Substrat und Relation als korrelativer Fundamentalkategorien ist Hartmann seinen beiden Lehrern zunächst sogar gefolgt, um sich durch die realistische Deutung dieser Lehre dann von ihnen gerade zu distanzieren. Es ist nicht ohne Ironie, dass Hartmann die Korrelation von Relation und Substrat realistisch umdeutet, um dadurch die idealistische Kategorienlehre der Marburger insgesamt aus den Angeln zu heben. Hartmanns Realismus kommt besonders zum Ausdruck, wenn er betont, dass die Substanz (als Substrat) keineswegs zu etwas bloß Hinzugedachtem wird, weil sie durch das Denken allen Bewegungen und Veränderungen in der Natur supponiert werden muss.

5.2.2. Ernst Cassirer

In seiner Schrift Substanzbegriff und Funktionsbegriff (1910) hat Cassirer in umfassenden philosophie- und wissenschaftsgeschichtlichen Analysen zu zeigen versucht, dass der Substanzbegriff zunehmend durch den Funktionsbegriff ersetzt worden ist. Damit wollte Cassirer die Fruchtbarkeit des logischen Idealismus gerade am Substanzproblem aufweisen.

Schon in der Antike gab es nach Cassirer eine empirische und eine rational-mathematische Zugangsweise zum Substanzproblem. (vgl. Cassirer 1910, S.200ff) Die empirische Zugangsweise begann bei den ersten vorsokratischen Naturphilosophen, die einen empirisch aufweisbaren Einzelstoff wie Wasser oder Luft als Substanz betrachteten. Doch schon Anaximander verließ mit seiner Konzeption des Apeiron den Kreis der unmittelbaren Wahrnehmungswirklichkeit. Indem er postulierte, dass dasjenige, was als Substanz der Ursprung allen sinnlichen Seins sei, selber von anderer Beschaffenheit sein müsse, entleerte sich der Subtanzbegriff nach Cassirer zur reinen Abstraktion des Stoffs. Anaxagoras versuchte zwar ebenfalls den Schritt von den sinnlichen Objekten zu den begrifflichen Prinzipien zu tun, indem er den Urstoff als unbegrenzte Fülle von qualitativen Unterschieden fasste, doch fixierte er den Gehalt der begrifflichen Prinzipien wieder nur in Ausdrücken, die der sinnlichen Wahrnehmung entnommen waren. Der prinzipielle Fehler dieses Ansatzes besteht nach Cassirer darin, empirisch gegebene Eigenschaften in absolute Eigenschaften der Dinge umzudeuten. Die Hypostasierung der Qualitäten zu eigenständigen Wesenheiten in der Scholastik und die Verdinglichung gesetzmäßiger Reaktionen in der neuzeitlichen Chemie vor Lavoisier sind für ihn besonders markante Fälle dieses Fehlers. vgl. Cassirer 1910, S.200ff, 203ff)

Die rational-mathematische Zugangsweise der Antike fasste die Substanz nicht nach dem Modell sinnlich wahrnehmbarer Eigenschaften, sondern in mathematischen Begriffen. Bei den Pythagoreern war die Zahl das Wesen der Dinge. Bei den Atomisten trat neben den Zahlbegriff noch der Raumbegriff. Indem die Atome durch rein quantitative Begriffe gefasst wurden, erschöpfte sich die Substanz eines physikalischen Körpers in dem Inbegriff der mathematisch fassbaren Eigenschaften. Die Atome erwiesen sich damit nach Cassirer nicht als physikalische Tatsachen, sondern als gedankliche Setzungen. Die Methode der gedanklichen Setzungen wurde von Demokrit jedoch weder durchschaut noch konsequent gehandhabt, da er die Härte noch als Eigenschaft der Atome betrachtete. (vgl. Cassirer 1910, S.205ff) Den nächsten entscheidenden Schritt zur funktionalen Naturauffassung findet Cassirer bei Boscovich, der die Reduktion der anschaulichen Eigenschaften weiter vorantrieb, indem er auch auf Größe und Gestalt als Eigenschaften der Atome verzichtete und die Atome nur noch als unausgedehnte, einfache Kraftpunkte deutete, die sich nur durch ihre verschiedene Stelle im Raum voneinander unterscheiden. Damit hatte das Atom, wie Cassirer betont, jede empirisch inhaltliche Bestimmung verloren, und es blieben nur gesetzmäßige Relationen zwischen einander anziehenden und abstoßenden Kraftpunkten übrig. Indem sich damit auch der Kraftbegriff in den Gesetzesbegriff auflöste, war das Atom wieder an seinen Ursprung als reiner Zahlbegriff zurückgekehrt. (vgl. Cassirer 1910, S.210ff)

Diese geschichtlichen Betrachtungen bestätigen nach Cassirer die Auffassung des logischen Idealismus, dass die Atome keine Substanzen sind, sondern gedankliche Setzungen, die die Funktion haben, die empirische Realität zu vereinheitlichen. In diesem Sinne habe sich zwar der Inhalt des Substanzbegriffs geschichtlich gewandelt, aber seine Funktion als Verfahren der Einheitssetzung sei konstant geblieben. Nachdem die Atome in Elektronen aufgelöst worden seien, haben die Elektronen diese Funktion übernommen. Der Substanzbegriff erweist sich damit nach Cassirer in der Naturwissenschaft zwar als unentbehrlich, aber die Philosophie durchschaut ihn als rein begriffliche Setzung. (vgl. Cassirer 1910, S.214, 278)

Die logisch-idealistische Substanzkonzeption fand Cassirer, wie er in seiner Schrift Determinismus und Indeterminismus in der modernen Physik (1936) gezeigt hat, auch durch die Entwicklung der modernen Physik bestätigt. Die Ersetzung der Substanztheorie der Materie durch die elektromagnetische Theorie bedeutet für ihn einen großen Fortschritt in der funktionellen Naturauffassung. Mit diesem Fortschritt an gesetzlicher Bestimmung geht jedoch ein zunehmender Verzicht auf Anschaulichkeit einher. Dass das elektromagnetische Feld nur noch der Inbegriff von Wirkungen und Relationen ohne materielles Substrat ist und dass Masse nach der Relativitätstheorie in elektrischer Ladung aufgeht, zeigt nach Cassirer, dass der Gesetzesbegriff dem Gegenstandsbegriff vorgeordnet ist und dass es daher für uns keine andere Realität gibt als die durch physikalische Gesetze vermittelte. Wie Natorp behauptet Cassirer daher, dass das Sein nicht der Ausgangspunkt, sondern Ziel der wissenschaftlichen Forschung ist und dass das metaphysisch absolut Bestimmte sich als ein endlos Bestimmbares entpuppt. Die zunehmend unanschaulicher werdende Naturwissenschaft bestätigt nach Cassirer somit die instrumentalistische Auffassung der wissenschaftlichen Begriffe. (vgl. Cassirer 1936, S.278, 334f, 346ff, 349f, 354)

Hartmann hat keine vergleichbaren wissenschaftsgeschichtlichen Studien betrieben, um seine realistische Lehre von den Fundamentalkategorien zu stützen. Für die Frage, ob Substrate der Realität angenommen werden dürfen, hat er die empirischen Wissenschaften offenbar für unzuständig gehalten. In seiner Analyse des Substanzproblems beschränkt er sich darauf, die relevanten Ergebnisse der Naturwissenschaften mit einzubeziehen, um sich dadurch die empirischen Kandidaten der Substanz vorgeben zu lassen. Also nur bei der Frage, was die Substrate der Realität sind, haben die empirischen Wissenschaften nach Hartmann ein Mitspracherecht. Ebenso wie er an der Realität letzter Substrate festhielt, nahm er aber auch den Realitätsanspruch der empirischen Wissenschaften ernst. Den Instrumentalismus, der die von den wissenschaftlichen Theorien postulierten Entitäten als bloße Rechenhilfen betrachtet, hat er als eine Verkennung des Erkenntnisphänomens abgelehnt.