Geistiges Sein


8.1. Der subjektive Geistes und die philosophische
Anthropologie

Hartmanns Philosophie des subjektiven Geistes konzentriert sich auf die Subjektivität und Personalität des Menschen. Als Subjekt hat der Mensch Bewusstsein, Selbstbewusstsein und Objektivität, als Person hat er Voraussicht, Zwecksetzung, Wertgefühl und Freiheit. Diese Konzepte hat Hartmann insbesondere in Auseinandersetzung mit der in den 20er Jahren entstehenden philosophischen Anthropologie entwickelt. Außer dem Neukantianismus und der Phänomenologie war sie die dritte bedeutende zeitgenössische philosophische Strömung, mit der Hartmann sich intensiv auseinandergesetzt hat. Eine herausragende Rolle spielt dabei Scheler. Wichtige Impulse erhielt Hartmann aber auch von Helmut Pleßner. Mit Arnold Gehlen hat Hartmann sich schließlich in einer Rezension ausführlich befasst. Um die Stellung seiner Philosophie des subjektiven Geistes im zeitgenössischen Kontext zu beleuchten, sollen im Folgenden Vergleiche mit den Hauptvertretern der philosophischen Anthropologie vorgenommen worden.

8.1.1. Max Scheler

Scheler ist mit seiner kleinen Schrift Die Stellung des Menschen im Kosmos (1928) zum Begründer der modernen philosophischen Anthropologie geworden. Wenngleich auch Scheler eine Schichtungsontologie vertreten hat, richtet sich sein zentrales Interesse doch auf die Anthropologie und die Sonderstellung des Menschen. Bei Hartmann ist der Geist zwar die höchste Schicht der Realität, doch bleibt bei ihm das geistige Sein seiner allgemeinen ontologischen Konzeption deutlicher untergeordnet. Scheler ist dagegen weit mehr Anthropologe und Philosoph des Geistes als Ontologe.

Der Geist begründet nach Scheler die Sonderstellung des Menschen im Kosmos, und zwar nicht nur dadurch, dass er die höchste Seinsschicht ist, sondern vor allem auch dadurch, dass er ein der biopsychischen Welt entgegengesetztes Prinzip ist. Zum Geist rechnet Scheler sowohl kognitive Akte wie das Erfassen idealer gedanklicher Inhalten als auch spezifisch menschliche volitive und emotionale Akte wie Güte, Liebe, Reue, Ehrfurcht, Seligkeit und freie Entscheidung. Das Zentrum dieser geistigen Akte bezeichnet Scheler als Person. (vgl. Scheler 1928, S.37f) Der Geist selber ist jedoch nach Scheler nicht vorstellbar, insofern er nur im Vollzug seiner Akte besteht, also pure Aktualität ist. Ein Merkmal des Geistes sieht Scheler zunächst in der Befreiung von der Trieb- und Umweltgebundenheit der übrigen Lebensformen. Die Befreiung vom Triebleben bestehe in einer Sublimierung der vitalen Triebenergien zu geistigen Aktivitäten. Die Triebe werden also nicht etwa überwunden, sondern sie werden vom Geist nur anders kanalisiert und für höhere Zwecke in Dienst genommen. Die Triebe werden vom Geist mit werthöheren Vorstellungen gleichsam geködert. Der Mensch distanziere die Umwelt zur Welt und erhebe sich zu Weltoffenheit und Sachlichkeit. Der Mensch ist damit nach Scheler der „Neinsagenkönner“ und „Asket des Lebens“. (vgl. Scheler 1928, S.55f, 62) Mit dieser Fähigkeit zur rein objektiven Auffassung der Welt entwickle sich zugleich das Selbstbewusstsein des Menschen. (vgl. Scheler 1928, S.38f, 43, 48) - Die Grundthese Schelers, dass die Triebbefreiung des Geistes die spezifisch menschlichen Eigenschaften der Weltoffenheit und des Selbstbewusstseins begründe, kehrt in Hartmanns Philosophie des subjektiven Geistes wieder. Ein Subjekt hat nach Hartmann Bewusstsein und Selbstbewusstsein und ist zur Objektivität fähig. Die weitergehende These Schelers, dass Triebbefreiung auf Sublimation beruhe, hat Hartmann nicht übernommen. Schelers These, dass das Sein des Geistes nur im Vollzug bestehe, hat er abgelehnt. Der Geist als Vollzieher der Akte kann nach seiner Ansicht selber nicht in Akten aufgehen. (PdgS 57)

Dem Phänomen der Triebbefreiung, worauf Weltoffenheit und Sachlichkeit beruhen, hat Scheler noch eine metaphysische Ausdeutung gegeben, die als eine von Eduard von Hartmann inspirierte Revision der Schopenhauerschen Lehre von der Willensverneinung verstanden werden kann. Metaphysisch entscheidend ist für Scheler, dass der Geist durch das asketische Verhalten des Menschen keineswegs erst entsteht. Nicht das Sein des Geistes, sondern nur seine Manifestation in der Welt ist für ihn durch Askese bedingt. Ein ursprüngliches Sein des Geistes müsse angenommen werden, weil es sonst kein Subjekt der Triebverdrängung gäbe. Der Geist wird damit von Scheler im Anschluss an Hegel und Spinoza als An-sich-Sein oder ursprüngliches Attribut des Weltgrundes gedacht, das als solches unabhängig von seiner Manifestation existiert. (vgl. Scheler 1928, S.57, 91) Da der Geist in diesem ursprünglichen Zustand zwar das höhere Sein darstelle, aber eben deswegen zugleich machtlos sei, brauche er die Triebe, um sich in der Welt zu realisieren. Damit versucht Scheler in gewisser Weise Schopenhauers Problem der Willensverneinung durch die metaphysische Idee zu lösen, dass Drang und Geist die beiden gleichursprünglichen Attribute des Weltgrundes sind. Schelers Metaphysik gipfelt schließlich in der wieder von Spinoza und Hegel inspirierten Idee, dass der ursprünglich machtlose Geist (bzw. die Gottheit) den ursprünglich dämonischen weltschaffenden Drang enthemmen musste, um in geistigen Werten und Ideen sich selber realisieren zu können. Die gegenseitige Durchdringung von Drang und Geist soll damit das Ende der kosmischen Entwicklung sein. Menschwerdung soll sich als Gottwerdung erweisen. (vgl. Scheler 1928, S.57, 61, 70f)

Die metaphysisch-theologische Spekulation Schelers hat Hartmann als Verstoß gegen die methodisch geforderte Beschränkung auf das unvermeidliche Minimum an Metaphysik entschieden abgelehnt. Bereits der These von der Ohnmacht des Geistes hat er eine entschärfte Deutung gegeben. Für ihn bedeutet das Höhersein keineswegs, dass das Höhere machtlos ist, sondern dass Macht und Stärke des Höheren auf den von den niederen Schichten vorgegebenen Spielraum begrenzt sind. Schelers These der Ohnmacht wird daher von Hartmann ausdrücklich auf das ideale Sein, insbesondere auf die Werte, beschränkt. Die Werte seien an sich machtlos und daher auf den Menschen als Vermittler angewiesen. Schelers Rekurs auf die irrationalistische Tradition der Willensmetaphysik Schopenhauers und Eduard von Hartmanns sowie sein Anknüpfen an die spekulativsten Ideen Spinozas und Hegels unterscheiden sich deutlich von Nicolai Hartmanns Bemühungen um eine nüchterne Bestandsaufnahme der Realität. Hegels Idee einer Selbsterkenntnis Gottes im Geist des Menschen hat Hartmann geradezu als eine Form von Größenwahn kritisiert. (vgl. PdI 274f) Schelers Geistkonzeption hat also nur in ihren phänomenologischen Teilen Hartmann entscheidend beeinflusst, während er dessen metaphysischen Drang-Geist-Dualismus strikt abgelehnt hat.

8.1.2. Helmut Pleßner

Helmut Pleßner hat in seinem Hauptwerk Die Stufen des Organischen und der Mensch (1928) eine anthropologische Konzeption entworfen, die ebenso wie Schelers Anthropologie Hartmanns Philosophie des subjektiven Geistes nachhaltig beeinflusst hat. Pleßners Konzeption stützt sich zwar auf Schelers Ansatz, doch hat er sich im Vorwort zur zweiten Auflage seiner Schrift (1965) gegen die verbreitete Auffassung gewendet, als sei seine Theorie nur eine Ausführung von Gedanken Schelers. Dass seine Eigenständigkeit auch von Nicolai Hartmann anerkannt wurde, ist ihm dabei eine besondere Genugtuung. (vgl. Pleßner 1965, S.IV, VII, IX.) Eine gewisse positive Rolle scheint für Pleßner auch Hartmanns (damals im Ansatz veröffentlichte) Schichtenlehre gespielt zu haben. So begrüßt Pleßner (ebenfalls in dem genannten Vorwort) Hartmanns Erneuerung der Ontologie als eine positive philosophische Entwicklung, die durch den Erfolg der Existenzphilosophie leider bald verdrängt worden sei. Bei Heidegger findet Pleßner nur eine Analyse der freischwebenden Existenz, die biologische Fakten völlig ignoriere und daher keinen geeigneten anthropologischen Ansatz darstelle. Gegen solche philosophischen Versuche, das Wesen des Menschen ohne Bezug zu den Wissenschaften herauszuarbeiten, betont Pleßner die Notwendigkeit, das Wesen des Menschen durch Kontrastierung mit anderen Lebensformen zu gewinnen. (vgl. Pleßner 1965, S.X, XIVf) Seine Forderung, den ganzen Menschen mitsamt seiner Verwurzelung in den Schichten der Natur für die Anthropologie zu berücksichtigen, stimmt im Sinne von Hartmanns Bemühungen um eine neue Realphilosophie überein. (vgl. Pleßner 1965, S.27, 31)

Pleßner gewinnt wesentliche anthropologische Thesen durch einen Vergleich des Menschen mit pflanzlichen und tierischen Lebensformen. Die Differenzen zwischen Pflanze, Tier und Mensch beschreibt er dabei in einer Weise, die durch den Verzicht auf die mentalistische Alltagssprache, die ja zugleich die Sprache der traditionellen Philosophie ist, jede Vorentscheidung zum Leib-Seele-Problem vermeiden möchte. Die Pflanze ist nach Pleßner durch eine offene Organisationsform mit einem „positionalen“ Charakter gekennzeichnet, ohne zu ihrer Positionalität in Beziehung gesetzt zu sein. Das Tier lebe demgegenüber aus seiner Mitte, aber es lebe nicht als Mitte. Ihm sei sein Sein verborgen, da es keine Beziehung und Distanz zur eigenen positionalen Mitte habe. Völlige Reflexivität erreiche erst der Mensch, indem er Distanz zu seiner eigenen positionalen Mitte habe und damit über diese Mitte gerade hinaus sei. Das Leben des Tiers sei daher „zentrisch“, das Leben des Menschen „exzentrisch“. Exzentrizität ist nach Pleßner damit das charakteristische Merkmal des Menschen. (vgl. Pleßner 1965, S.288ff, 295) - Diese Charakterisierung des Menschen als exzentrisches Lebewesen hat Hartmann in seine Theorie des subjektiven Geistes übernommen. Auch seine auf den Unterschied von Tier und Mensch sich stützenden Ausführungen zum geistlosen und geistigen Bewusstsein sind an Pleßner orientiert. (PdgS 110ff)

Der Mensch als exzentrisches Wesen ist nach Pleßner nicht naturhaft ein für allemal festgelegt, sondern ihm bleibt ein Spielraum freier Selbstverwirklichung. Als ein von Natur aus unfertiges Lebewesen verwirkliche sich der Mensch erst im Rahmen einer Kultur. Exzentrische Lebensform und Ergänzungsbedürftigkeit sind daher nach Pleßner zwei Seiten derselben Sache. (vgl. Pleßner 1928, S.309ff) Die volle Ausbildung der Persönlichkeit sei dem Menschen nach Pleßner nur in einer Gemeinschaft möglich. Dazu gehöre insbesondere die gemeinsame Sphäre des Geistes, die einerseits von den Personen getragen werde, andererseits die Personen aber selber trage. Diese gemeinsame geistige Sphäre („Wir-Sphäre“) ist nach Pleßner nicht durch Subjektivität oder Bewusstsein gekennzeichnet. (vgl. Pleßner 1928, S.302ff) - Die geradezu existentialistischen Thesen Hartmanns über Möglichkeit und Notwendigkeit freier Selbstverwirklichung sind bei Pleßner vorgebildet. Auch Pleßners Auffassung der Angewiesenheit der individuellen Selbstverwirklichung auf eine gemeinsame geistig-kulturelle Sphäre dürften Hartmanns Auffassung des objektiven Geistes beeinflusst haben.
8.1.3. Arnold Gehlen

Arnold Gehlen hat in seinem Hauptwerk Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt (1940) eine anthropologische Konzeption vorgelegt, die Hartmann so stark beeindruckte, dass er ihr eigens eine Rezension widmete. Dabei versucht er nicht nur die Vereinbarkeit der Schichtenlehre mit Gehlens anthropologischem Ansatz herauszustellen, sondern auch Gehlens Bemühungen um eine neue Sicht des Menschen zu würdigen.

Gehlen geht ebenfalls von einem Tier-Mensch-Vergleich aus und kommt dadurch zu seiner Grundthese, dass der Mensch unter organischen Gesichtspunkten ein „Mängelwesen“ ist. Im Gegensatz zum Tier fehlen dem Menschen spezialisierte Organe, eine Anpassung an eine bestimmte Umwelt und eine verlässliche Leitung seines Verhaltens durch Instinkte. (vgl. Gehlen 1940, S.16ff) Als Kompensation für diese natürlichen Mängel sei der Mensch u.a. mit Weltoffenheit und großer Lernfähigkeit ausgestattet, also mit Fähigkeiten, die es ihm erlauben, die Natur zu seinen Zwecken zu bearbeiten und zu beherrschen. Alle spezifisch menschlichen Fähigkeiten gründen nach Gehlen darin, dass der Mensch ein handelndes Wesen ist. (vgl. Gehlen 1940, S.18ff) Durch Handeln erweise sich der Mensch auch als Kulturwesen. Ähnlich wie Plessner stellt Gehlen den unvermeidlich kulturellen Charakter aller menschlichen Lebensformen heraus. Der Mensch sei eben von Natur aus auf Kultur angelegt, er müsse Kultur schaffen und er werde von Kultur geprägt. (vgl. Gehlen 1940, S.38f) Schon die Art, wie Menschen ihre natürlichen Bedürfnisse befriedigen, sei kulturell bestimmt und damit veränderbar. Ausgehend von der Grundidee, dass Kultur und Geist Kompensationen natürlicher Mängel sind, gelingt es ihm, auch bestimmte Phänomene in neuem Licht zu sehen. So begreift er z.B. die Sprache als einen Speicher von Erfahrungen, der Handeln entlastet. (vgl. Gehlen 1940, S.46ff)

Hartmann hat Gehlens Werk als einen bedeutenden anthropologischen Ansatz gewürdigt. (III 378-393) Gehlen habe damit einen wesentlichen Beitrag zur Frage nach dem Wesen des Menschen geliefert, der diesseits aller speziellen Fragen liege, womit Hartmann zugleich (1941) klarstellt, dass es Gehlen nicht um die Differenzierung „menschlich-rassischer Artung“ gehe. (III 378) Hartmann betont vor allem, dass es Gehlen gelungen sei, durch seinen Ansatz die Einseitigkeit der älteren Versuche, die entweder biologistisch von unten oder geisteswissenschaftlich von oben das Wesen des Menschen bestimmen wollten, zu vermeiden und den Menschen als Einheit zu begreifen. Die Fragestellung Gehlens sei zwar auch biologisch, aber nicht biologisch im hergebrachten Sinne: Gehlen versuche, die höheren Funktionen des Geistes wie Phantasie, Sprache und Denken nicht aus körperlichen Funktionen kausal abzuleiten, sondern ihre Notwendigkeit aus den Lebensbedingungen des Menschen verständlich zu machen. Gehlens Grundfrage, wie das Mängelwesen Mensch überhaupt lebensfähig sei, betrachtet Hartmann als einen ausgesprochen gelungenen Ansatzpunkt philosophischen Fragens. In diesem Grundansatz sei Gehlens Theorie in der Tat gleichgültig gegen jede Art von Leib-Seele-Dualismus und diesseits aller Metaphysik. (III 382f) Gehlens Grundthese, dass der Mensch kein Tier sei, das zusätzlich noch einen Geist erhalten habe, sondern ein Wesen aus einem Guss, wird von Hartmann ausdrücklich anerkannt. Der Unterschied des Menschen zum Tier zeige sich daher bereits auf der körperlichen Ebene. (III 379) Als einen weiteren gelungenen Ansatzpunkt Gehlens betrachtet Hartmann die Frage, wodurch sich der Mensch von der Anpassung der Tiere an ihre Umwelt unterscheide. Gehlens Grundthese, dass der Mensch infolge seiner (durch Instinktarmut bedingten) großen Anpassungsfähigkeit seine Beziehung zur Welt selber aktiv gestalten müsse und sich dadurch in einem kulturellen Kontext erst ganz verwirkliche, stimmt Hartmann ausdrücklich zu. (III 380)

Auch zu einer Reihe von Detailanalysen Gehlens äußert sich Hartmann sehr positiv. Besonders beeindruckt zeigt er sich von Gehlens Theorie der Sprache. Die Sprache sei die geradlinige Fortsetzung der Aufbauordnung, die mit den sensomotorischen Prozessen beginne. Als entscheidend betrachtet er dabei die Spannweite der Funktionen der Sprache. Wenngleich die Wurzeln der Sprache in biologischer Notwendigkeit lägen, habe sie mit ihren produktiven Leistungen in den Sphären des Denkens und Handelns zugleich Anteil an menschlicher Selbstverwirklichung. Große Bedeutung misst Hartmann ferner Gehlens Lehre vom Antriebsüberschuss und dessen Charaktertheorie zu. (III 383ff) Hartmann nimmt Gehlens Lehre auch gegen voreilige Kritik in Schutz. So weist er z.B. eine phylogenetische Deutung der These vom Mängelwesen als unangemessen zurück. (III 385ff, 387ff) Insgesamt bescheinigt Hartmann Gehlen einen fruchtbaren Ansatz, der viele Einzelfragen in bisher unbekannter Weise im Zusammenhang zu sehen erlaube. (III 380)

8.2. Die Theorie des objektives Geistes
und der Historismus

Hartmann hat seine Philosophie des objektiven und objektivierten Geistes vor allem in Auseinandersetzung mit Hegel und dem (unter Hegels Einfluss stehenden) Historismus entwickelt. Von den zeitgenössischen Vertretern des Historismus waren es in erster Linie Wilhelm Dilthey und Hans Freyer, an die er für seine Revision der Hegelschen Geistesphilosophie anknüpfen konnte. Dilthey und Freyer vertraten ebenfalls Theorien des objektiven Geistes, ohne jedoch zu der Hartmannschen Unterscheidung von objektivem und objektiviertem Geist zu gelangen. Um die Stellung von Hartmanns Konzeption im zeitgenössischen Kontext zu verdeutlichen, soll im Folgenden seine Auffassung mit Dilthey und Freyer verglichen werden.

8.2.1. Wilhelm Dilthey

In seinem Werk Der Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften (1910) hat Dilthey seinem lebenslang verfolgten Projekt einer erkenntnistheoretischen Grundlegung der Geisteswissenschaften letzte Gestalt verliehen. In Auseinandersetzung mit Hegel hat er dabei auch eine Theorie des objektiven Geistes entwickelt, die Hartmanns Philosophie des Geistes stark beeinflusst hat. Hartmanns Werk Das Problem des geistigen Seins (1933) lässt schon im Untertitel „Untersuchungen zur Grundlegung der Geschichtsphilosophie und der Geisteswissenschaften“ den Bezug zu Dilthey klar erkennen.

Dilthey geht von der Tatsache der Geisteswissenschaften aus. Geschichte, Rechts-, Staats- und Literaturwissenschaft haben als gemeinsamen Gegenstand den Menschen in seiner lebendigen Ganzheit von Physischem und Psychischem. Jede Trennung dieser Ganzheit in einen rein physischen oder rein psychischen Teil ist für ihn eine Abstraktion und hat daher nur eine bedingte Berechtigung. (vgl. Dilthey 1910, S.89ff) Die Naturwissenschaften vollziehen eine solche Abstraktion, wenn sie die Natur als eine Ordnung von Gesetzen betrachten und alle Naturereignisse auf die Relationen von Raum, Zeit, Masse und Bewegung zurückführen. Die Geisteswissenschaften betrachten demgegenüber den ganzen Menschen in seiner lebendigen Einheit als handelndes, geschichtlich-soziales Wesen. Während die Naturwissenschaften beim sinnlich wahrnehmbaren äußeren Geschehen stehen bleiben, betrachten die Geisteswissenschaften die Produkte menschlichen Handelns, und zwar in Beziehung zu dem, was sich in ihnen ausdrückt und auswirkt. (vgl. Dilthey 1910, S.93ff) Die Methode des Verstehens ist damit nach Dilthey sachlich darin begründet, dass der Gegenstand der Geisteswissenschaften in Objektivationen des Lebens (bzw. Geistes) besteht, also im objektiven Geist. „Alles, dem der Mensch wirkend sein Gepräge aufgedrückt hat, bildet den Gegenstand der Geisteswissenschaften.“ (Dilthey 1910, S.180) Ihre Aufgabe besteht darin, diese äußerliche Wirklichkeit in die geistige Lebendigkeit, aus der sie entsprungen ist, zurück zu übersetzen. Zu den Objektivationen des Geistes in der Sinnenwelt rechnet Dilthey alle objektiv-geistigen Gehalte vom flüchtigsten Ausdruck bis zur Jahrhunderte langen Herrschaft von Gesetzen, wobei der zu verstehende geistige Gehalt von den psychischen Vorgängen seiner Schöpfer zu unterscheiden ist. Ein solcher geistiger Gehalt sei von den seelischen Ereignissen ablösbar und daher kein Gegenstand der Psychologie. (vgl. Dilthey 1910, S.96, 141f) - Hartmann stimmt mit Dilthey grundsätzlich darin überein, dass die Produkte des menschlichen Handelns Gegenstand der Geisteswissenschaften sind. Wenngleich Dilthey die lebendige Einheit von Körper und Geist des Menschen als Gegenstand der Geisteswissenschaften bezeichnet, meint er damit jedoch nicht das menschliche Handeln selber (das vielmehr Gegenstand der geisteswissenschaftlichen Psychologie ist), sondern die geistig-kulturellen Produkte des menschlichen Handelns (und Denkens). Die Differenzierung von geistigem Gehalt und psychischen Prozessen liegt auch Hartmanns Lehre vom objektiven und objektivierten Geist zugrunde, die beide zusammen den Gegenstand der Geisteswissenschaften ausmachen. Der subjektive Geist hat bei Hartmann zwar eine etwas unklare Stellung zwischen seelischen und geistigem Sein, doch stimmt Hartmann Diltheys These von der lebendigen Ganzheit von Körper und Geist insofern zu, als das Handeln des Menschen durch Bezugnahme auf alle Schichten der Welt erklärt werden muss. Als Mangel der Konzeption Diltheys betrachtet Hartmann das Fehlen der Unterscheidung von objektivem und objektiviertem Geist.

Die Methode des Verstehens hat Dilthey zu explizieren versucht. Wesentlich zum Verstehen gehören für ihn Erleben und Ausdruck. Das je eigene Erleben menschlicher Zustände bilde die Basis, auf dem der Ausdruck von Lebensäußerungen verstanden werden könne. Das Zusammenspiel von Erleben, Ausdruck und Verstehen sei das methodische Instrumentarium der Geisteswissenschaften. Auf der Grundlage von Erleben und Verstehen lässt sich nach Dilthey der „Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften“ rekonstruieren. (vgl. Dilthey 1910, S.101, 139) Andere Abgrenzungsversuche, wie etwa durch das Verhältnis von Allgemeinem und Besonderem oder durch die Rolle des Zweck- und Wertbegriffs, betrachtet er demgegenüber als sekundär. Dilthey wendet sich damit auch gegen seinen ursprünglichen, in der
Einleitung in die Geisteswissenschaften (1883) unternommenen Versuch, die Eigenart der Geisteswissenschaften durch die Herausstellung des Singulären in der Geschichte zu bestimmen. (vgl. Dilthey 1910, S.98f, 139, 157, 164ff) - Gegenüber dieser methodologischen Bestimmung der Geisteswissenschaften hat sich Hartmann reserviert geäußert. Dilthey ist für ihn ein „einzigartiger Repräsentant eines methodischen Könnens, das weder er selbst noch seine Schüler methodologisch zu durchleuchten vermochten, das sich auch als nicht erlernbar und nur unvollkommen nachahmbar erwiesen hat.“ (PdgS 32) Verstehen bleibe daher eine mehr intuitive Methode, die der künstlerischen Schau sehr nahe komme. (PdgS 27) Als wissenschaftliche Methode hat Hartmann das Versehen nicht anerkannt.

Der objektive Geist bildet nach Dilthey eine gemeinsame Atmosphäre, in der die Individuen einer Gesellschaft leben, denken und handeln. Obwohl der objektive Geist von den Individuen geschaffen werde, habe er doch bestimmende Macht über sie. (vgl. Dilthey 1910, S.178f, 183) In den mannigfaltigen Formen, in denen eine Gemeinschaft sich objektiviert habe, lebe die Vergangenheit für die jeweilige Gegenwart fort, aber zugleich seien die Objektivationen dem geschichtlichen Wandel unterworfen. In diese gemeinsame Welt des objektiven Geistes werden die Menschen hineingeboren und entwickeln darin ihre Persönlichkeit. Ehe man sprechen lerne, befinde man sich schon in dieser Gemeinsamkeit des geistigen Lebens. Wie Hartmann betont Dilthey damit Geschichtlichkeit, Individualität und Macht des objektiven Geistes. (vgl. Dilthey 1910, S.256f) An alle diese Thesen konnte Hartmann anknüpfen. Seine Philosophie des objektiven Geistes ist stark von Dilthey beeinflusst.

Dilthey grenzt seine Auffassung des objektiven Geistes ausdrücklich von Hegel ab, betont jedoch zugleich dessen große Verdienste. Hegel habe die Einsicht der historischen Schule, dass Sitte, Staat, Recht und Glaube sich nicht aus dem Zusammenwirken der Individuen erklären lassen, in den Begriff des objektiven Geistes gefasst. (vgl. Dilthey 1910, S.181f) Dilthey kritisiert jedoch die Voraussetzungen von Hegels Theorie. Statt die Gemeinschaft aus einem allgemeinen Willen rationalistisch zu konstruieren, müsse man vielmehr von der Realität des Lebens ausgehen. Hegels metaphysische Konstruktionen versucht er daher durch die Analyse des Gegebenen zu ersetzen. Als Tatsache anerkennt Dilthey die irrationale Macht des Trieblebens, die er im Einklang mit Schopenhauer und Nietzsche gegen die Vernunft-Metaphysik Hegels stellt. Der objektive Geist müsse also aus dem Leben statt aus der Vernunft verstanden werden. Damit ergibt sich für Dilthey auch eine Erweiterung des objektiven Geistes gegenüber Hegel: Zum objektiven Geist gehören nicht nur Familie, bürgerliche Gesellschaft, Staat, Recht, Sprache, Sitte und alle Lebensformen - also alles, was Hegel zum objektiven Geist rechnet -, sondern auch Kunst, Religion und Philosophie - also gerade auch das, was bei Hegel den absoluten Geist ausmacht. (vgl. Dilthey 1910, S.181) - Dieser Kritik Diltheys an Hegel hat Hartmann sich weitgehend angeschlossen. Auch Hartmann rechnet Kunst, Religion und Philosophie zum objektiven (und objektivierten) Geist, und auch er hat sich scharf gegen Hegels Geist-Metaphysik gewendet. Im Unterschied zu Dilthey hat Hartmann freilich die irrational-triebhaften Seiten des Lebens zwar nicht geleugnet, doch spielen sie - wie die Psychologie überhaupt, die er als eine unterentwickelte Wissenschaft betrachtet, - in seinem Denken eine eher sekundäre Rolle. Hartmann spricht zwar auch vom geistigen Leben, doch liegen die Akzente dabei nicht so stark auf dem Triebleben wie bei Dilthey, da er sich von der Willensmetaphysik stets distanziert hat.

8.2.2. Hans Freyer

Hans Freyer hat seine Schrift Theorie des objektiven Geistes (1923) als eine Einleitung in die Kulturphilosophie verstanden und dabei Diltheys Konzeption des objektiven Geistes unter Rückgriff auf Husserls Zeichentheorie weiterentwickelt. (vgl. Freyer 1923, S.153) Neben Ideengeschichte und Psychologie ist die Kulturphilosophie für Freyer die dritte Untersuchungsmöglichkeit des Geistes. Freyer distanziert sein Vorhaben ausdrücklich von den primär methodologischen Analysen der Geisteswissenschaften, wie sie von Dilthey und Rothacker vorgenommen wurden, und betont, dass es ihm um den objektiven Aufbau der kulturellen Welt selbst geht. In einer objektiven Strukturlehre sollen alle Formen erfasst werden, in die der menschliche Geist sich objektiviert. (vgl. Freyer 1923, S.6f, 11f)

Der Ausgangspunkt von Freyers Überlegungen ist die Tatsache, dass der menschliche Geist sich in objektiven Gebilden wie Sprachen, Schrifttümern, Staaten, Kirchen, Sitten, Künsten, Wissenschaften etc. realisiert. Zu einer solchen Objektivation des Geistes gehört, wie Freyer im Anschluss an Husserls Zeichentheorie sagt, stets zweierlei, nämlich Äußeres und Inneres, Zeichen und Gemeintes. (vgl. Freyer 1923, S.16f, 33) Objektiver Geist habe daher Zeichencharakter, insofern ein Sinngebilde sich in objektiven Formen manifestiere. Auf der Basis einer Zeichentheorie entwickelt Freyer seine Theorie des objektiven Geistes. Eine Objektivation des Geistes sei vom Ausdruck von Gefühlen dadurch unterschieden, dass überhaupt etwas Gegenständliches in der Welt gemeint werde und dadurch zum Sinngehalt von Zeichen werden könne. Die Objektivation des Geistes basiere damit auf einer theoretischen Haltung. Wenngleich objektiv-geistige Gebilde sich grundlegend vom bloßen Ausdruck von Gefühlen unterscheiden, gibt es nach Freyer auch bei ihnen eine Seite des Ausdrucks. Daher lasse sich objektiver Geist stets sowohl physiognomisch als Ausdruck einer subjektiven Haltung als auch gegenständlich als Darstellung eines gedanklichen Gehalts interpretieren. Bedeutungsgehalt und Ausdrucksgehalt lassen sich also trennen. Die erste objektive Wendung findet Freyer in hinweisenden Gesten und darstellenden Gebärden. Seine volle Gestalt erreiche der objektive Geist jedoch erst, wenn die Zeichen vom Körper des Zeichen benutzenden Menschen abgelöst werden und objektive Form gewinnen. Dazu müssen sie keineswegs eine feste materielle Verkörperung wie in Schriften oder Kunstwerken erhalten, sondern sie können auch in einer sozialen Regel bestehen, die das Verhalten einer Gruppe von Menschen bestimmt. In allen Fällen gewinne ein geistiger Gehalt jedoch eine erlebnistranszendente Existenz und werde zum gemeinsamen Besitz einer Gemeinschaft. (vgl. Freyer 1923, S.24ff, 30ff, 36f, 44f, 51ff)

Anders als Dilthey ist Freyer mehr am objektivierten Geist im Sinne Hartmanns orientiert. Während Dilthey Hartmanns Theorie des objektiven Geistes beeinflusst hat, hat Freyer vor allem auf Hartmanns Theorie des objektivierten Geistes einen bedeutenden Einfluss ausgeübt. Hartmann geht es ja gerade darum, die von Dilthey und Freyer nicht unterschiedenen Formen des Geistes zu differenzieren. Die Überlegungen Freyers zur Konstitution objektiv-geistiger Gehalte finden bei Hartmann einen gewissen Nachhall, wenn er Gesten, Gebärden und sprachlichen Äußerungen als flüchtige Formen des objektivierten Geistes anerkennt und die eigentlichen, materialisierten Formen des objektivierten Geistes davon unterscheidet. Im Übrigen ist auch Hartmann an der Sprache als Paradigma des objektivierten Geistes orientiert, wenngleich genuin zeichentheoretische Überlegungen sich bei ihm nicht finden.

Freyer unterscheidet fünf Haupttypen des objektiven Geistes: Gebilde, Gerät, Zeichen, Sozialform und Bildung. Ein Gebilde liegt vor, wenn ein Sinngehalt wie bei einem Kunstwerk für sich selber vollständig ist und nicht über sich hinausweist. Ein Gerät ist eine Form des objektiven Geistes, deren Sinngehalt ein Teil eines zwecktätig gerichteten Handlungszusammenhangs ist und daher über sich hinausweist. Ein Zeichen ist, wie Freyer unter Rückgriff auf Husserl sagt, ein physisches Phänomen, das einen Sinn (Bedeutung) hat und vermittels dieses Sinnes sich auf einen Gegenstand bezieht. Eine Sozialform besteht in verinnerlichten gesellschaftlichen Normen und Sitten, die das Verhalten der Menschen bestimmen, ohne dass sie materialisiert sein müssten. Bildung besteht schließlich darin, dass sich im Denken, Fühlen und Wollen des Individuums bestimmte Formen herausbilden, die in ihrer Gesamtheit ein weltanschauliches Apriori bilden. (vgl. Freyer 1923, S.56ff, 61, 63ff, 69ff) - Hartmann hat keine vergleichbare Typologie des objektiven und objektivierten Geistes geliefert, doch hat er gegen Freyer seine grundlegende Unterscheidung zwischen objektivem und objektiviertem Geist geltend gemacht. Freyers Gebilde, Gerät und Zeichen rechnet er zum objektivierten Geist, während er Sozialform und Bildung zum objektiven Geist zählt. Bildung hat dabei freilich eine von Hartmann nicht klar herausgestellte Doppelstellung. Bildung im Sinne einer rein individuellen Geistesverfassung, zu der z.B. auch die Freiheit der individuellen Meinungsbildung gehört, müsste im Sinne Hartmanns eher zum subjektiven Geist gerechnet werden. Bildung im Sinne des Einflusses objektiver Bildungsinhalte einer Gemeinschaft auf das Individuum ist dagegen erst eine Sache des objektiven Geistes. Im Übrigen war Hartmann an einer ins Einzelne gehenden Typologie des objektiven und objektivierten Geistes weniger interessiert als an den Hauptcharakteristika beider Geistesformen.

Neben seiner Typologie hat Freyer auch Aussagen über den Prozesscharakter des objektiven Geistes gemacht, die für Hartmann von größerer Bedeutung waren. Freyers Grundthese lautet, dass der objektive Geist eine zugleich absolute und hilfsbedürftige Stellung gegenüber dem seelischen Leben habe. Der objektive Geist sei zwar unabhängig von den Akten des einzelnen Menschen, doch bleibe er stets auf den lebenden Menschen überhaupt angewiesen, ja er sei gewissermaßen nur das Schlussstück in einem seelischen Prozess. (vgl. Freyer 1923, S.77) Das Sein des objektiven Geistes bleibe daher grundsätzlich von schaffenden und verstehenden Menschen abhängig. Da der Mensch im Verstehen die objektiven Formen zwar nachschaffe, ohne jedoch den ursprünglichen schöpferischen Akt genau wiederholen zu können, seien alle Gebilde des objektiven Geistes in einer langsamen Wandlung begriffen. Der objektive Geist brauche also den subjektiven Geist nicht nur, um Träger von Sinn zu sein, sondern durch diese Angewiesenheit auf den subjektiven Geist verwandle sich gerade auch der Inhalt des objektiven Geistes selber. Wandelbarkeit gehört damit nach Freyer als wesentliche Eigenschaft zu allen kulturellen Gebilden. (vgl. Freyer 1923, S.82ff) Trotz dieser Abhängigkeit besitze der objektive Geist dem einzelnen menschlichen Subjekt gegenüber eine große Überlegenheit, insofern er die Denkwege bereitstelle, auf denen der subjektive Geist sich zunächst und zumeist bewege. Die Gehalte des objektiven Geistes seien dabei weit größer, als jeder einzelne subjektive Geist zu umfassen vermöge. Die Überlegenheit des objektiven Geistes zeigt sich nach Freyer auch in der Individuen und Generationen übergreifenden Dauer. Sobald sie geschaffen sind, führen die Formen des objektiven Geistes ein unvorhersehbares Eigenleben, ja sie können sogar, statt dem Leben zu dienen, zu Tyrannen des Lebens werden. Diese Verselbständigung geistiger Formen gehört nach Freyer also zum Wesen des objektiven Geistes selbst und ist daher ein allgemeines Kennzeichen von Kulturen. (vgl. Freyer 1923, S.87, 111f)

Freyers Charakterisierungen des objektiven Geistes haben Hartmanns Konzeption des objektiven und objektivierten Geistes stark beeinflusst. Macht (über die Individuen) und Geschichtlichkeit sind bei Hartmann als Merkmale des objektiven Geistes. Vor allem aber dürften ihn Freyers Ausführungen über die partielle Selbständigkeit und Abhängigkeit des objektiven Geistes vom seelischen Geschehen beeindruckt haben. Sowohl seine Auffassung vom gegenseitigen Getragensein des subjektiven und objektiven Geistes als auch seine Ausführungen über die Angewiesenheit des objektivierten Geistes auf lebende Subjekte haben ihre Wurzeln in Freyers Theorie. Hartmann selbst hat sich zu Freyers Theorie jedoch nur an einer Stelle geäußert. (PdgS 196) Er kritisiert hier, dass Freyer den objektiven Geist ganz als Objektivation gefasst habe und damit Eigenart und Seinsweise des objektivierten Geistes verkannt habe. Freyer verfehle das Grundphänomen, dass objektivierter Geist kein lebendiger Geist sei. Außerdem kritisiert Hartmann die Voraussetzung von Freyers Theorie, dass der objektive Geist vom subjektiven gleichsam erfunden und dann in objektive Form geprägt werde, obgleich Hartmann selber immer wieder so spricht, als sei der objektive Geist ein Produkt des Subjekts. (PdgS 181) Wenngleich Hartmann bemängelt, dass Freyer den Unterschied zwischen objektivem und objektiviertem Geist übersehen habe, gesteht er Freyer doch zu, einige Grundzüge des objektiven Geistes richtig erfasst zu haben. (PdgS 196) Freyer seinerseits hat im neuen Vorwort zur der 1934 erschienen dritten Auflage seiner Schrift das Verdienst Hartmanns um die Weiterentwicklung des Grundproblems des geistigen Seins ausdrücklich anerkannt. (vgl. Freyer 1923, S.III)